Auch eine Sprache: Architektur

Zuletzt aktualisiert: 22. Mai 2021

Neue Nationalgalerie feiert Geburtstag

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin … den Schlachtruf der Fußballfans aufgreifend mache ich mich auf nach Berlin. Heute werde ich einmal nicht unsere dortige Niederlassung besuchen, ich werde auch nicht als Mitglied des Bundesvorstands des VdU zum Verband fahren … nein, dieses Mal mache ich einen Geburtstagbesuch bei der Neuen Nationalgalerie. Denn die wird heute, am 15. September, 45 Jahre alt.

Schon der Bau selbst ist beeindruckend – und lebendige Alltagskunst. Für den „lichten Tempel aus Glas“  zeichnet nämlich niemand anderes verantwortlich als Mies van der Rohe – der Bauhauspapst, der für seine klaren, schlichten und damit umso mehr beeindruckenden Bauten bekannt ist. In Berlin hinterlässt van der Rohe ein Meisterwerk. Es steht am Ende einer Reihe von Bauten und Projekten, die einen Hallenraum thematisieren, der eingeschossig ist und völlig ohne Stützen oder Pfeiler auskommt. Damit entsteht eine Fläche, die immer wieder anders „bespielt“ werden kann und ihre Wirkung vor allem durch die dort ausgestellten Exponate entfalten kann. Schon in den 20er Jahren hat sich van der Rohe der klaren Formsprache verschrieben, seiner „Haut-und-Knochen“-Architektur der späteren Jahre, wobei „Haut“ für die Glasfassade und „Knochen“ für ein Stahltragwerk steht. 1923 baut er sein erstes Gebäude in dieser modernen, nahezu visionären Formensprache: Haus Ryder in Wiesbaden, ein hell verputztes kubisches Wohnhaus mit Flachdach,  stilistisch ein Bauhaus-Entwurf.  Als Vizepräsident des Deutschen Werkbundes entwirft er die Stuttgarter Weißenhofsiedlung – noch heute ein Denkmal modernen Wohnens, das ohne Schnörkel und „Chichi“ auskommt und einzig von der Ästhetik der Formen und Materialien lebt. Auch bei der Weltausstellung in Barcelona 1929 arbeitet er mit und entwirft für die deutsche Abteilung den Clou der Ausstellung: den „Barcelona-Pavillon“.

Mit seinem Form-Anspruch war klar, dass die Möbel-Entwürfe der damaligen Zeit van der Rohe nicht genügten – so entwirft er auch eigene Möbel, u.a. die Freischwinger der MR-Serie, den Barcelona-Sessel, den Brno-Stuhl, den Tugendhat-Sessel, die Palisanderliege mit Nackenrolle und das Glastischchen mit Kreuzgestell. Möbel, die bis heute aufgrund ihres modeunabhängigen Entwurfs geschätzt und gekauft werden.

Architektur

Die Neue Nationalgalerie ist ein echter van der Rohe: schlicht, hell, funktional, ästhetisch. Und: zurückhaltend – darauf bedacht, die Ausstellungen, die dort stattfinden, wirken zu lassen. Die Neue Nationalgalerie stellt heute – neben der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel, dem Museum Berggruen und der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Charlottenburg, dem Hamburger Bahnhof in Tiergarten und der Friedrichswerderschen Kirche am Schlossplatz – eine der sechs Säulen der Nationalgalerie dar. Mit dem großen, vielschichtigen Bestand zur Kunst der Moderne zählt sie zu den bedeutendsten Museen in Europa. Gemälde wie der „Potsdamer Platz“ von Ernst Ludwig Kirchner oder das radikale Bild „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau“ von Barnett Newman können als Signets der Sammlung gelten. Werke wie von Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz und Oskar Kokoschka dokumentieren die Einzigartigkeit dieser Sammlung. Dazu kommen immer wieder wechselnde Ausstellungen – derzeit zu sehen: zeitgenössische Kunst von Martin Eder (geb. 1968) Michael Kunze (geb. 1961) Anselm Reyle (geb. 1970) und Thomas Scheibitz (geb. 1968). Zur Ausstellung heißt es: „Die auf den ersten Blick grundlegend unterschiedlichen künstlerischen Ansätze werden mit insgesamt ca. 40 ausgewählten Arbeiten aus den letzten 15 Jahren formal und inhaltlich im Dialog untersucht.“
Genau wie diese Künstler hat auch der Architekt ihres Ausstellungsraums eine ganze eigene Sprache in seiner Welt des Bauens gefunden: eine Sprache, eine Ausdrucksweise, die ihn unverwechselbar und einzigartig macht. Für mich ein Beispiel der Moderne, aber auch und besonders ein Beispiel dessen, was mit Individualität und Kreativität machbar ist.

Herzlichen Glückwunsch, liebe Neue Nationalgalerie. Bleib bitte, wie Du bist!

Ihre
Nelly Kostadinova

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