Dürfen Dolmetscher emotional werden?

Zuletzt aktualisiert: 25. Juni 2023

Der Dolmetscher, der am 1. März 2022 die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem europäischen Parlament dolmetschte, machte Schlagzeilen in den internationalen Medien – weil ihm während des Dolmetschens die Stimme stockte. Er ist nicht der einzige Dolmetscher, der beim Dolmetschen Emotionen zeigt. Die Frage ist: Dürfen Dolmetscher emotional werden?

Um die Frage „Dürfen Dolmetscher emotional werden?“ zu beantworten, schauen wir zuerst einmal auf das, was ein Dolmetscher ist. Und darauf, was er macht. Damit kommen wir zu dem, was ein Dolmetscher an Kompetenzen und Fähigkeiten (Skills) braucht, um seine Sache richtig gut zu machen.

Was ist ein Dolmetscher und was macht ein Dolmetscher?

Ein Dolmetscher ist jemand, der neben seiner Muttersprache eine oder mehrere weitere Sprachen beherrscht – und zwar so gut, dass er Gesprochenes mühelos von einer in eine andere übertragen kann. Mit seinen Sprachkenntnissen wird der Dolmetscher zum Vermittler zwischen Menschen, die, obwohl sie jeweils nur eine Sprache sprechen, miteinander kommunizieren wollen. Dabei kann die Kommunikation

  • sowohl einseitig (Jemand konsumiert das ihm vom Dolmetscher in seine Sprache übertragene Gesprochene, zum Beispiel die Rede eines Redners auf einer internationalen Konferenz.)
  • als auch beidseitig (Zwei Menschen mit unterschiedlichen Sprachen tauschen sich mit Hilfe eines Dolmetschers aus, der beide Sprachen beherrscht und hin und her dolmetscht, zum Beispiel zwei Teilnehmer einer internationalen Konferenz im bilateralen Gespräch.)

verlaufen.

Wer jetzt meint, dass ein Dolmetscher demnach als reiner Translator fungiere, der degradiert die Tätigkeit und den Menschen dahinter. Denn jeder Dolmetscher überträgt Gesprochenes reflektiert und berücksichtig dabei den Kontext, sowohl des Sprechenden (Sender), als auch des Zuhörenden (Empfänger), die Funktion/Intention beider Parteien, ihre (Inter)Kulturalität, Intertextualität und vieles mehr. Zugleich ist auch der Dolmetscher ein Mensch, der Wissen und Erfahrungen gesammelt hat und diese in seine Arbeit einbringt.

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Sprache als Ausdruck von Informationen und Emotionen

Sprache gilt als unser wichtigstes und ältestes Kommunikationsmittel. Wir verständigen uns mit ihr. Sprache dient dem Austausch von Informationen (Wissen, Erfahrungen, Signale). Und ganz wichtig: Mit unserer Sprache drücken wir aus, was uns bewegt: unsere Gefühle (Emotionen).

Die Aufgabe eines Dolmetschers ist es, Gesprochenes zu vermitteln. Das bedeutet, dass er das in einer Sprache Gesprochene (Sender) so in eine andere Sprache dolmetscht, dass es vom Empfänger verstanden wird – und zwar so, und das ist von immenser Bedeutung, wie es der Sender gemeint hat beziehungsweise verstanden haben will.

Um diesem enormen Anspruch an Verständigung gerecht zu werden, muss der Dolmetscher alle Ebenen von Sprache verstehen und dolmetschen. Also die reinen Worte plus die Tonalität, in der sie gesprochen werden, und den Sprachduktus, mit dem sie gesprochen werden. Hinzu kommt das „Dolmetschen“ der Mimik und Gestik des Sprechenden.

Allein die Übertragung dieser Kommunikationssignale Wort, Ton, Mimik und Gestik ist bereits emotional gefärbt: vom Sprechenden (Sender). Der Dolmetscher dolmetscht die Signale sachlich (objektiv) und beschreibend, während er sich selbst als Person (Subjekt) mit seinem Wissen und seinen Gefühlen zurückhält. Er wertet nicht.

Dürfen Dolmetscher emotional werden?

Wenn ein Sprecher eine gefühlvolle Rede hält, dann möchte er genau diese Gefühle zum Ausdruck bringen. Er bedient sich sämtlicher Mittel, damit ihm das gelingt: Er wählt emotional besetzte und wirkende Wörter, einen gefühlvollen Ton, eine sprachliche Dramaturgie und für die auszudrückenden Emotionen typische Mimik und Gestik. Vom Dolmetscher dürfen Sender und Empfänger erwarten, dass er die Emotionen des Redners in seiner Sprachmittlung berücksichtigt.

Die meisten Dolmetscher dolmetschen Sprachen, von denen eine ihre Muttersprache ist. Die Muttersprache gilt als die Sprache, in der ein Mensch fühlt. Das heißt, in keiner anderen Sprache wird ein Mensch annähernd so viele Gefühle authentisch ausdrücken können, wie in seiner Muttersprache. Nimmt man dies an, ließe sich im Umkehrschluss behaupten, dass man von kaum einer anderen Sprache so berührt werden kann, wie von seiner Muttersprache.

Und noch etwas: Das Unterbewusstsein, das vornehmlich mit emotionalisierten Informationen gefüllt ist, macht keinen Unterschied dabei, ob sein Mensch das, was er gerade tut, tatsächlich oder nur in seiner Vorstellung tut. Denn es kann nicht überprüfen, ob sein Mensch nur davon spricht (laut oder in Gedanken), was ihn bewegt oder, ob es ihn tatsächlich bewegt.

Versetzen wir uns vor diesem Hintergrund in einen Dolmetscher, der die mehr als emotionale Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem EU-Parlament dolmetschte. Dieser Dolmetscher musste die Gefühle des Staatsmannes dolmetschen, der sie mit seiner Botschaft an die EU sendete. Selbstverständlich wird dabei auch die gedolmetschte Rede emotional.

So weit, so gut.

Ist er nun auch Ukrainer, dolmetscht er in seiner Muttersprache. Die triggert seine eigenen Gefühle am stärksten. Sein Unterbewusstsein reagiert auf diese Gefühle. Nicht mehr und nicht weniger. Bedenkt man den Inhalt der Rede de Präsidenten, es geht um Leben und Tod in diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, werden damit Urgefühle wie Angst ums eigene Leben angesprochen.

Selbstverständlich wird ein Dolmetscher dabei auch selbst emotional. Und das ist gut so. Denn ein Dolmetscher ist ein Mensch. Seine Gefühle zeichnen ihn als solchen aus. Er ist ein Mensch, der zwischen Menschen mit Gefühlen vermittelt und für gegenseitiges Verständnis sorgt.

Es gibt Reden, die pure Emotion sind. Selenskyjs war eine davon. Er berührte damit viele Menschen. Auch die Dolmetscher. Wer wollte ihnen verbieten, beim Hören und Verstehen der Rede über Leben und Tod zu fühlen? Zeugt dies doch nur davon, dass sie Menschen sind.

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